Kurzer Eindruck der "Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1" von Sascha Büttner
Auf dem Kunstfestival "achtundvierzig stunden kunst
los" am letzten Juliwochenende 1995 auf dem Schlachthofgelände in Wiesbaden wurde
auch die "Installation für den öffentlichen Raum Nr. 1" von Sascha Büttner
vorgestellt: Auf der freien Fläche hinter der Halle waren Hunderte von Pflastersteinen
ausgelegt, unter einigen von ihnen entdeckte man Fotos, die während einer Veranstaltung
zum Gedenken an die Deportation der Wiesbadener Juden und Jüdinnen während des
Faschismus aufgenommen wurden. Sollten also alle diese Steine zusammengenommen ein Denkmal
zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus sein? Vielleicht - mich hat jedoch
nicht so sehr beeindruckt, daß die Installation mahnen wollte (das wollen alle,
selbst Gemeinden, die keine "Asylanten" in ihrer Mitte haben wollen, leisten
sich Gedenktafeln zur Erinnerung an zerstörte Synagogen), sondern wie sie es getan
hat: mit Distanz.
Auf den Fotos z.B. waren Teilnehmer der Gedenkveranstaltung abgebildet, die Schilder mit
den Namen der Deportierten in der Hand hielten: Manche trugen ihr Schild demonstrativ vor
sich her, manche hielten es achtlos in der Hand, während sie den Rednern zuhörten,
andere wiederum benutzten es als Schutz vor der Sonne. Waren sich diese Leute der
Bedeutung dieser Namen etwa nicht bewußt, wenn sie sie wie alltägliche
Gebrauchsgegenstände benutzten? Ganz im Gegenteil - war mein zweiter Gedanke. Die
Demonstranten wußten, daß die Schilder mit den Namen der Toten nicht die Toten selbst
waren, daß die Erinnerung an den Horror nur Symbole für diesen Horror benutzen kann,
kurz: daß Distanz und "Vermittlung" nötig sind (man kann auch sagen:
Bescheidenheit), um die arrogante und gefährliche Vorstellung zu vermeiden, man bekomme
die Geschichte durch das Gedenken "in den Griff".
Vielleicht war diese "Unzulänglichkeit der Erinnerung" (auch im Sinne von: daß
es sich hier verbietet, so richtig "zuzulangen") das eigentliche Thema der
Installation, zumindest konnte man sie überall entdecken, wenn man wollte: keine
drastischen Bilder mit möglichst viel unvermitteltem Schrecken drauf, sondern Abbildungen
einer Veranstaltung, die Menschen mit Abbildungen der Namen der Ermordeten zeigten. Nicht
in Stein gehauenes Ewiges, sondern Bilder, die beim ersten Regen zerlaufen wären. Keine
Befestigungen, sondern "bewegliche" Steine (ein paar Stunden später hatte
jemand schon ein Fragezeichen mit den Steinen gelegt).
Ich weiß nicht, ob dies die "richtige" Form der Erinnerung ist - haben die
Opfer nicht ein Recht auf eine "unvergängliche" Form? -, sie kommt mir aber
angemessener vor, als die monströse Angemessenheit (oder Anmaßung?) etwa desjenigen
Entwurfes für das in Berlin geplante Holocaust-Denkmal, der auf einer riesigen Tafel alle
Namen der Ermordeten vermerken will. Scheint hier nicht wieder die Logik des "Keiner
darf entkommen" durch, deren brutale Konsequenzen das Denkmal doch eigentlich vor
Augen stellen will?
Der offensichtliche, demonstrative - und anscheinend sehr gründlich geplante - Bruch mit
einer solchen Form der "Gründlichkeit des Gedenkens" war auf jeden Fall das,
was mich an Sascha Büttners Installation am meisten beeindruckt und herausgefordert hat.
Marburg, im August 1995
Angelika Magiros (Politikwissenschaftlerin)